Drittes Bändchen.
Landshut, 1826.
in der Krüll'schen Buchhandlung.
Inhalt.
Das Lämmchen.
Christine, ein armes Mädchen vonetwa zehn Jahren, pflückte in dem WaldeErdbeeren. Es war ein heißer Nachmittag,und an den sonnichten Waldplätzen,wo kein kühlendes Lüftchen hinkam,war es fast zum verschmachtenschwühl. Ihr leichtes Strohhütchen vermochtenicht mehr den brennenden Sonnenstrahlenzu wehren. Die hellenSchweißtropfen standen ihr beständig aufder Stirne, und ihre Wangen warenwie Glut. Dennoch pflückte sie, ohneaufzusehen, emsig fort. „Denn, sagtesie freudig, indem sie mit ihrem weißenTuche den Schweiß abwischte, es ist jafür meine kranke Mutter. Das Geld,das ich aus den Beeren erlöse, verschafftihr doch wieder eine kleine Erquickung!“
Gegen Abend ging sie, mit ihremKörbchen voll Beeren am Arme, durchden Wald nach Hause. Es fing an zuregnen. Immer lauter rauschten die Regentropfenin den Blättern der Bäume,und aus der Ferne her donnerte es sehrstark. Als sie aus dem Walde herauskam, erhob sich ein Sturmwind; einheftiger Platzregen schlug ihr entgegen,und an dem glühendrothen Abendhimmelstanden dunkle Gewitterwolken, wie Gebirgeauf einander gethürmt. Sie suchtesich, fern von den hohen Bäumen,unter niedrigen Haselstauden ein sicheresPlätzchen, stand hier unter, und wartete,bis das Gewitter vorüber wäre.
Allein mit Einem Mahle hörte siein dem nahen Erlengesträuche ein kläglichesGeschrey — fast wie das Geschreyeines kleinen Kindes. Das gutemitleidige Mädchen ließ sich von Sturmund Regen, Blitz und Donner nichtabhalten, nachzusehen, was es doch wohlseyn möge? Sie ging hin — und siehda! es war ein kleines, zartes Lämmchen,das vom Regen tröpfelte, zitterteund nicht wußte wohin. „Ach du armes,armes Thierchen! sagte Christine.Nein, du sollst nicht umkommen. Komm,ich nehme dich mit mir nach Hause.“Sie nahm das Lämmchen sorgfältig indie Arme, und eilte damit, sobald derRegen nachließ, ihrer kleinen, strohbedecktenWohnung zu.
„O sieh doch, liebe Mutter, riefsie, so bald sie in das niedre, reinlicheStübchen trat — sieh doch, was ichda gefunden habe! Sieh, ein wunderschönesSchäflein! O wie glücklich warich! Wie will ich es pflegen! Es sollmeine ganze Freude seyn!“
„Kind, sagte die kranke Mutter,indem sie sich in dem Bette aufrichteteund den Kopf auf die Hand stürzte, duvergissest in deiner Freude, daß diesesLämmchen schon seinen Herrn habenmuß. Es ist bloß verloren — und damüssen wir es wieder zurückstellen. Gewißgehört es dem reichen Bauern aufdem Eichhofe. Fremdes Gut sollen wirnicht einm