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Der Liebhaber-Bibliothek
fünfzigster Band
Anekdoten zeitgenössischer deutscher Erzähler
Herausgegeben von
Karl Lerbs
Sechstes bis fünfzehntes Tausend
Gustav Kiepenheuer Verlag
Potsdam–Berlin 1919
Dem Andenken
Johann Peter Hebels
Im Schatzkästlein steht die Geschichte des deutschenBinnenländers, der in die große Stadt Amsterdamkommt und vor einem stolzen Schiff, einem prächtigenHaus und einem gewaltigen Begräbnis fragt:Wer ist es, dem dies gehört? »Kannitverstan«, ist dieAntwort, und er beneidet den reichen Mann nichtmehr.
Eine gute Geschichte; Pointe und Moral darin,Treuherzigkeit und Humor. Als Knabe las ich sie imLesebuch; sie hat mir so gefallen, daß ich sie nie vergaß.Und später, als ich auf Reisen ging, in fremdeStädte kam, ging sie mir erst recht auf.
In ihrem Reiz war eine Aufforderung, wie jenerjunge Deutsche über vier, fünf Eindrücke aufs GeratewohlEingeborene um Auskunft anzugehen undein unbekanntes Wort zu erhalten, das ein Band[8]schlang, wo keines war und einen Sinn, wo Sinnfehlte.
Sehr jung, in Weltlichkeit nicht eingeweiht, stiegich am Ostbahnhof in Paris ab und begann sofortkreuz und quer herumzustreifen. Da stieß ich auf einWort, das sich immer, immer wiederholte: Dubonnet.
Zuerst bemerkte ich es in der Metrobahn, alle hundertMeter an den Wänden des Tunnels. Ich setztemich auf Bänke in den Parks. Dubonnet stand aufder Lehne wie bei uns im Lande der Ordnung »Nurfür Erwachsene«.
Wo Löcher in den Häuserzeilen häßlich gleich Lückenin den Zähnen eines Menschen klafften, prangte blaudas Wort Dubonnet, auf den Firsten der Dächerflammte es nächtlich auf, in den Zeitungen füllte eshalbe Seiten, umrahmt von leerem Weiß: Dubonnet,sonst kein Wort.
Dubonnet wiederholte ich, und als ich es fünfzigmalnachgesprochen hatte, wurde es wie ein mystischerRuf, Symbol des Geheimnisvollen in der Wirklichkeit.Die Griechen hatten dem unbekannten Gotteinen Tempel gebaut, war es nicht denkbar, daß inder Großstadt ein Wort der Gesinnung, Mahnungund fernen Weite metaphysisch rief?
Auf einer Kaffeehausterrasse erfuhr ich die Lösungdes Rätselworts; es bestellte einer einen – Dubonnet.[9]Zuerst war ich enttäuscht, dann lachte ich, so fröhlich,daß man sich nach mir umsah. Lehre war es, daß esin der Großstadt keine Mystik gibt – wie, warumdenn nicht?
Nun wollte ich sie, und wenn es mir gefiel, Dubonneteinen Klang wie dem erhabenen Feldgeschreieiner Religion zu g