Anmerkungen zur Transkription:
Der Text stammt aus: Immanuel Kants Werke. Band IV. Schriften von1783–1788. Herausgegeben von Dr. Artur Buchenau und Dr. Ernst Cassirer.Berlin: Bruno Cassirer 1913. S. 349–366und 545–548 (Lesarten).
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Wir mögen unsere Begriffe noch so hoch anlegen und dabeinoch so sehr von der Sinnlichkeit abstrahieren, so hängen ihnendoch noch immer bildliche Vorstellungen an, deren eigentlicheBestimmung es ist, sie, die sonst nicht von der Erfahrung abgeleitetsind, zum Erfahrungsgebrauche tauglich zu machen.Denn wie wollten wir auch unseren Begriffen Sinn und Bedeutungverschaffen, wenn ihnen nicht irgendeine Anschauung, (welchezuletzt immer ein Beispiel aus irgendeiner möglichen Erfahrungsein muß), untergelegt würde? Wenn wir hernach von dieserkonkreten Verstandeshandlung die Beimischung des Bildes, zuerstder zufälligen Wahrnehmung durch Sinne, dann sogar die reinesinnliche Anschauung überhaupt weglassen: so bleibt jener reineVerstandesbegriff übrig, dessen Umfang nun erweitert ist und eineRegel des Denkens überhaupt enthält. Auf solche Weise ist selbstdie allgemeine Logik zustande gekommen; und manche heuristischeMethode zu denken liegt in dem Erfahrungsgebraucheunseres Verstandes und der Vernunft vielleicht noch verborgen,welche, wenn wir sie behutsam aus jener Erfahrung herauszuziehenverständen, die Philosophie wohl mit mancher nützlichen Maxime,selbst im abstrakten Denken, bereichern könnte.
Von dieser Art ist der Grundsatz, zu dem der sel. MENDELSSOHN,soviel ich weiß, nur in seinen letzten Schriften (denMorgenstunden S. 165–66 und dem Briefe an Lessings FreundeS. 33 und 67) sich ausdrücklich bekannte: nämlich die Maximeder Notwendigkeit, im spekulativen Gebrauche der Vernunft,(welchem er sonst in Ansehung der Erkenntnis übersinnlicherGegenstände sehr viel, sogar bis zur Evidenz der Demonstrationzutraute), durch ein gewisses Leitungsmittel, welches er bald denGemeinsinn (Morgenstunden), bald die gesunde Vernunft,bald den schlichten Menschenverstand (an Lessings Freunde)nannte, sich zu orientieren. Wer hätte denken sollen, daß diesesGeständnis nicht allein seiner vorteilhaften Meinung von der Macht des spekulativen Vernunftgebrauchs in Sachen der Theologieso verderblich werden sollte, (welches in der Tat unvermeidlichwar); sondern daß selbst die gemeine gesunde Vernunftbei der Zweideutigkeit, worin er die Ausübung dieses Vermögensim Gegensatze mit der Spekulation ließ, in Gefahr geraten würde,zum Grundsatze der Schwärmerei und der gänzlichen Entthronungder Vernunft zu dienen? Und doch geschah dieses in der Mendelssohn-und Jacobischen Streitigkeit, vornehmlich durch dienicht unbedeutenden Schlüsse des scharfsinnigen Verfassers derResultate;(1) wiewoh