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Die Dynamitpatrone

Von B. Traven

In: Jugend. Münchner illustr. Wochenschrift für Kunst und Leben.München 1925, H. 48, S. 1157.

Eine Anzahl indianischer Arbeiter, die in denBergwerken von Chihuahua gearbeitet hatten undsich jetzt in dem Vorort der Stadt herumtrieben,stritten sich eines Tages über die Wirksamkeit derDynamitpatronen, die beim Sprengen der Gesteinsmassenverwendet werden. Die Mehrzahl stimmte darinüberein, daß die Wirkung auf den menschlichen Körperunbeschreiblich vernichtend sei; einige wenige dagegenbehaupteten, die Wirkung komme nur Gesteinsmassengegenüber zum vollen Ausdruck, während sie gegenüberdem menschlichen Körper beinahe harmlos zu nennen sei.

Als eine Einigung darüber nicht erzielt werden konnte,erbot sich der Vertreter der „harmlosen Wirkung“ anseiner eigenen Person die Richtigkeit seiner Meinung zubeweisen.

Es dauerte nicht lange, da war eine Patrone besorgt,das Hütchen wurde aufgesteckt und die Zündschnur angehängt.Der mutige Kämpfer für seine Überzeugung ließsich aber doch von der Gegenpartei überreden, daß erVorsicht üben möge, denn es wäre ja immerhin möglich,daß die Majorität recht habe und es wäre doch jammerschade,wenn er sich nicht davon überzeugen könne, daßer unrecht habe, um für sein ferneres Leben darauseine Lehre zu ziehen.

Er sah das schließlich auch ein und er begab sich mitder Schaar streitsüchtiger Genossen zu einem großensteinernen Eckhause. Nachdem die „Wirkungsgläubigen“sich in respektvolle Entfernung zurückgezogen hatten, gingder Mann bin, entzündete die Zündschnur und hielt diePatrone mit seiner rechten Hand um die Hausecke.

Wenige Augenblicke später erzitterte die ganze Stadt.Die Bevölkerung, ein Erdbeben oder eine Minenexplosionbefürchtend, eilte auf die Straße. Als sie sah, daßes sich nur um zwei Eckwände eines Hauses handelte, dieauf unerklärliche Weise eingestürzt waren, zog sich jederwieder in seine ruhige Häuslichkeit zurück.

Die Freunde des Opfers gingen tüchtig an die Arbeit.Sie räumten den Schutt der beiden Wände fort, umfestzustellen, welche Partei recht habe, denn bis jetzt wardas noch nicht entschieden. Die Wirkung auf Gesteinsmassenwar ja von keiner Seite bestritten worden. Undrichtig, nachdem sie eine Weile gebuddelt hatten, krochder Ungläubige ganz ruhig und mit der Miene eines Mannes,der das Recht auf seiner Seite hat, hervor und schüttelte sich denSchutt aus den Kleidern.

Ganz vollständig war er allerdings nicht mehr, das hatte er jaauch garnicht behauptet, daß dies der Fall sein würde. Jedenfalls warihm die rechte Hand bis zum halben Unterarm fortgerissen. Darausmachte er sich aber nicht viel. Er bestand darauf, daß man nun dieHand auch noch suche, damit man sehen könne, daß sie nicht allzu sehrbeschädigt sei. Aber von der Hand war nichts zu finden.

„Und ich sage euch ganz bestimmt,“ so begann sofort wieder derStreit, „es war nicht die Patrone, die meine Hand abgerissen hat.Die Patronen sind ganz und gar harmlos. Es war das Hütchen,denn was da die nichtswürdigen Fabrikanten hineinstecken, das weißman nie. Das sind alles Schwindler und Betrüger.“

Der Indianer bedauerte später nie, daß er seine Hand hergegebenhatte. An Stelle der Hand bekam er einen eisernen Haken, einenArbeitshaken. Er arbeitete aber nie damit, sondern wurde mit diesemHaken einer der gefürchtetsten Raufbolde unter der Arbeiterschaft,die ihm mit an Ehrfurcht grenzender Scheu begegnete und sich geschmeicheltfühlte seine Wünsche erfüllen zu dürfen.

Anmerkungen zur Transkription

Quelle: Jugend. Münchner illustr. Wochenschrift

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