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Wie wir einst
so glücklich waren!

Von Willy Speyer erschien bei BrunoCassirer, Berlin 1907:

Ödipus, Roman

Wie wir einst
so glücklich waren!

Novelle
von
Willy Speyer

Albert Langen
Verlag für Litteratur und Kunst
München

1

Auf meinem Lande ist es Herbst geworden.Ungefähr um drei Uhr morgensbeginnt ein kalter Regen nieder zugehen, der erst um fünf Uhr nachmittagsaufhört. Zur Vesperzeit kommt plötzlichund kampflos die Sonne hervor; ein leichtesBlau webt mit einem Male in den herbstlichenBäumen, deren genäßte Blätter von der Sonnefarbenreich durchleuchtet werden. Am Spätabendziehen über die feuchte Erde Nebel dahin,die des Nachts die verblassenden, leiserauschenden Wälder umfangen. Auf diesenNebeln ruht zuweilen Mond- und Sternenlicht;goldene und silberne Wolken fließen unaufhörlichdurch das Dunkel dahin, bis es zu einemnassen und schleichenden Morgen tagt.

Es ist seltsam zu sagen: Ich ziehe denRegen meinen anmutigen Herbstabenden vor.Während des ganzen Tages bleiben meineFenster fest geschlossen, und ich finde ein Vergnügendarin, stundenlang im Zimmer auf undab zu gehen, mit der Papierschere zu spielen,meine und meines Vaters Tagebücher zu lesenund immer wieder in hundertfachen Pausen demRegen, dem grausamen, dem gänzlich hoffnungslosenzuzusehen. Keine Stimme redet zu miraus dem strömenden Wasser, wie es bisweilenden Dichtern geschieht, und belustigt mich durchihre Geschichten, – vielleicht durch kleine rührendeMärchen, die meine Brust mit süßenHoffnungen erfüllen könnten und dann ganztrostlos endigen, ... o nein, was mich unwiderstehlichzu dem erbarmungslosen Freunde dieserTage hinzieht, ist nichts anderes als die nackte,von jeder Kunst entblößte Trauer und ihrschwermütiges Gefolge.

Es gibt Tage, wo der Regen auch vor derVesperstunde nicht Halt macht, sondern in diefinstere Nacht hineinrauscht und nimmer ruhenmag. Dann kommt die Zeit meiner tiefstenÄngste, und es erfassen mich Gefühle, die ichlängst vergessen wähnte: Meine vollkommene,durch keine Gunst des Schicksals je gestörteVereinsamung, meine frevelhafte, durch keinenleuchtenden Gedanken je geweihte Eigenmächtigkeitund meine tödliche, tödliche Sehnsucht.

*

Es ist wahr, ich bin grenzenlos einsam. Daßich dies erst jetzt fühle, bereitet mir eine gewisseGenugtuung, zumal wenn ich daran denke, daßes Menschen gibt, die Tag für Tag an ihrerEinsamkeit leiden.

Aber nun, hier auf meinem Landsitz, ist eseingetreten, daß ich in den Regen schaue, eineganze Weile, geruhig, mit einer leichten Traurigkeitim Herzen, und dann plötzlich der Gedankemich zu Boden schmettert, daß es auf der ganzenWelt keine einzige Seele gibt, die mir am Tageoder in der dunklen Nacht je vertraut wäre.

O, ich weiß, daß viele Menschen ebensowie ich zu sprechen pflegen, – aber bedenkendiese auch, daß sie noch von der Kindheit hereine alte, gebrechliche Haushälterin besitzen, diesie rührend eifrig bedient und mit mürrischerZärtlichkeit an ihnen hängt, oder einen Hund,einen kranken vielleicht, der mit guten,

...

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