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Engelhorns Allgemeine Romanbibliothek.
Eine Auswahl der besten modernen Romane aller Völker.
Zehnter Jahrgang. Band 3.
Novelle
von
Ernst von Wildenbruch.
Stuttgart.
Verlag von J. Engelhorn.
1893.
Alle Rechte, namentlich das Übersetzungsrecht, vorbehalten.
Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
An der kleinen Station, die nicht weit hinter Breslauan dem großen Schienenstrange liegt, der, Schlesien durchquerend,Berlin mit Wien verbindet, war zu später Abendstundeder Eisenbahnzug angekommen.
Es war keiner von den Kurierzügen; wenige Fahrgästenur saßen in den Wagen verteilt; auf der Stationstiegen nicht mehr als zwei Reisende aus. Dies warenzwei Männer, von denen der eine, der bejahrter und dickerals der andre war, sogleich von dem Gepäckträger des Bahnhofsin Empfang genommen und begrüßt wurde. Er schienam Orte bekannt zu sein, und das war natürlich genug,denn es war der Arzt, der in der kleinen, etwa zwei Meilenhinter der Station landeinwärts gelegenen Stadt seinenWohnsitz hatte.
»Ist der Wagen da?« fragte er den Gepäckträger,dem er seine Reisetasche anvertraute; er war offenbar nurzu einem kurzen Ausfluge von Hause fort gewesen.
»Is da, Herr Dukter,« erwiderte jener; »die FrauDukter hat och den Mantel für'n Herrn mit eingelegt, wirdaber nicht nötig sein, is scheenes Wetter heut abend zurNacht.«
Jetzt wandte sich der Arzt an den Mitreisenden.
»Wollen Sie nicht auch nach – fahren?« Und ernannte den Namen des Städtchens.
Der Angeredete bejahte. Er wollte am nächsten Tagenoch weiter ins Land hinein; darum hatte er die Absicht gehabt,in der Stadt zu übernachten.
Mit einem raschen Blick stellte der Doktor fest, daßaußer einem Koffer nichts weiter an ihm hing.
»Wenn's Ihnen also recht ist,« meinte er, »steigen Siemit ein, und wir fahren zusammen.«
Das wurde angenommen, und bald darauf rasselte derWagen mit seinen Insassen durch das Gitterthor des Bahnhofgebäudesauf die Chaussee hinaus, die sich im Mondlichtwie ein weißes flimmerndes Band in das Land hineinverlor.
Es war, wie der Gepäckträger gesagt hatte, schönesWetter heut abend zur Nacht.
Man befand sich im Juli; zu beiden Seiten derChaussee stand das reifende Korn auf den Feldern; überdem weiten, flachen Lande lag die tiefe, süße Stille derSommernacht, nicht unterbrochen, sondern nur eindringlichergemacht durch das Gequak der Frösche, in das sich von Zeitzu Zeit der dumpfe Ruf der Rohrdommel mischte.
Um die Fahrt zu verkürzen, bog jetzt der Kutscher vonder Chaussee in einen Weg ab, der quer durchs Land einenBogen der großen Fahrstraße abschnitt. Obschon man hierstellenweise durch sandigen Untergrund hindurch mußte,blieben die kräftigen Braunen, die vor den Wagen gespanntwaren, in munterem Trabe, so daß man gut vom Flecke kam.
Nach einer halben Stunde etwa tauchten vor den Reisenden die dunklen Umrisse eines baumreichen Parks auf, undindem man näher kam, sah man über den Bäumen einHaus emporsteigen. Vielleicht war es das Dunkel der Nacht,welches die Linien des Gebäudes undeutlich machte – jedenfallserschien es, von hier unten gesehen, außerordentlichgroß, beinahe kolossal.
»Ist das das Schloß, das zu dem Park gehört?« unterbrachder zweite Reisende, der im Lande f