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Erzählung für die Jugend
von
Josephine Siebe
Mit Bildern von
Professor Ernst Liebermann
Dritte Auflage
Verlag von A. Anton & Co. in Leipzig
Printed in Germany.
Alle Rechte vom Verlage vorbehalten
Otto Wigand'sche Buchdruckerei G. m. b. H., Leipzig.
In das große Wohngemach des Herrenhauses zuKloningken drang der Duft der blühenden Holunderbüsche.Die Sonnenstrahlen lugten durch das dichte Laub desPfeifenkrautes, welches die Südwand des Hauses umzog,sie malten große leuchtende Flecke auf den weißgescheuertenFußboden und sie flimmerten auf den steifen, weißlackiertenMöbeln. Das Zimmer war ganz in einen grüngoldenenGlanz getaucht, selbst die alte Kastenuhr in der Ecke hattenoch etwas von dem Schimmer abbekommen. An einemder weitgeöffneten Fenster saß eine schlanke Frau, die Herrindes Hauses, Friederike von Seeheim. Die Frau trug einschwarzes Gewand, ein weißes Flortuch war um ihreSchultern geschlungen, und durch das volle aschblonde Haarzogen bereits silberne Fäden. Wie ein schönes steinernesBild, so saß die Frau in all dem strahlenden Frühlingslicht,selbst das leise Lachen, das mitunter wie Vogelgezwitscher[S. 6]durch das Zimmer tönte, fand keinen Widerschein auf ihremblassen, fast finsteren Gesicht. Das Lachen kam von demandern Fenster her, dort saßen mehrere Kinder traulichbeisammen. Ein Mädchen von vielleicht vierzehn Jahrenhatte den Platz vor einem zierlichen Nähtisch inne. Renatevon Bergen, so hieß die Kleine, trug ein weißes Kleid,das ihr bis auf die Knöchel herabfiel und noch die in Kreuzbänderschuhensteckenden Füßchen sehen ließ, eine schwarzeSchärpe schlang sich dicht unter der Brust um das Kleid.Dichte Zöpfe hingen ihr auf den Rücken herab und dasBlondhaar legte sich schlicht um ein sanftes liebliches Gesicht.Sie zeigte einem jüngeren Mädchen einige Stiche an einerlinnenen Decke, sie tat es mit viel freundlicher Geduld,ohne daß es ihr gelang, die Aufmerksamkeit der Gefährtinzu fesseln. Diese andere, die Tochter des KloningkenerPfarrers, Luise Flemming, war ganz das Gegenteil vonRenate, dunkles, lockiges Haar umkrauste eine niedrigeStirn und braune Schelmenaugen blitzten unter langenWimpern hervor. Sie schnitt allerlei Grimassen zu zweiKnaben hinüber, ihrem Bruder Walter und Hans-Heinrichvon Seeheim, dem Sohn des Hauses. Beide Knaben saßendicht nebene